Das Potenzial Hessens muss weiter gefördert werden

Interview Geschäftsstelle Kultur- und Kreativwirtschaft

Im Jahr 2003 rückte mit dem ersten Hessischen Kulturwirtschaftsbericht auch in Hessen das Thema Kultur- und Kreativwirtschaft mehr in den Fokus von Politik und Öffentlichkeit. Die vom Hessischen Wirtschaftsministerium bei der Hessen Agentur eingerichtete Geschäftsstelle Kultur- und Kreativwirtschaft in Hessen nahm Mitte 2010 ihre Arbeit auf.

Im Interview mit der LAKS äußert sich Susanne Stöck, die Ansprechpartnerin der Geschäftsstelle, zu Aufgaben und Ausrichtung.

Frau Stöck, kurz zum Einstieg: Von welchen Bereichen sprechen wir in der Kreativwirtschaft?

Wer „kreativschaffend“ ist, kann ja zunächst ganz unterschiedlich definiert werden, betrachtet man beispielsweise die Theorie der „kreativen Klasse“ Richard Floridas, die Personen aus allen Bereichen der Arbeitswelt wie z.B. Ärzte, als „kreativ“ einstuft.

In der engeren Definition zählen zur Kultur- und Kreativwirtschaft „Kultur- bzw. Kreativunternehmen, die überwiegend erwerbswirtschaftlich orientiert sind und sich mit der Schaffung, Produktion, Verteilung und/oder medialen Verbreitung von kulturellen bzw. kreativen Gütern befassen“.

Die Definition der Kultur- und Kreativwirtschaft hat sich in den letzten Jahren mehrfach gewandelt, was sicherlich das Verständnis des Begriffes nicht erleichtert hat. Der nächste Datenreport der Hessen Agentur basiert zum ersten Mal auf der vom Bund (Arbeitskreis Kulturstatistik) im Jahr 2008 festgelegten Definition der Kultur- und Kreativwirtschaft mit ihrer Aufgliederung in die Teilmärkte: Architektur, Bibliotheken/Museen, Design, Filmwirtschaft, Handel mit Kulturgütern, Kulturelle Wirtschaftszweige (Künstlerisches Schaffen), Rundfunkwirtschaft, Software/Games, Tonträgerindustrie/Musikverlage; Verlagsgewerbe und Werbung.

Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist eine bedeutsame Branche für Hessen. Das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung hat dies früh erkannt und hat seit Jahren eine Vielzahl an Aktionen im Fokus.

Die Betrachtung der Kulturwirtschaft in Hessen basiert auf dem so genannten 3-Säulen-Modell. Kreativwirtschaft fußt also auf den Säulen privatwirtschaftliche Unternehmen, staatliche Einrichtungen und freie Szene, die sich wechselseitig bedingen.

Warum hat man, obwohl ja nur der privatwirtschaftliche Teil originär wirtschaftlich ausgerichtet ist, die beiden anderen Säulen in die Berichte mit aufgenommen?

Darauf gibt es zunächst eine recht einfache Antwort: In den beiden anderen Säulen finden sich in nicht unerheblichem Maß Arbeitsplätze. Außerdem werden zum Beispiel im öffentlichen und privaten Sektor häufig ähnliche Leistungen angeboten, z.B. in öffentlichen und privaten Theatern. Wirklich trennen kann man die Säulen also nicht.

Der öffentliche Kulturbetrieb ist auf regionaler Ebene ebenfalls ein bedeutender Wirtschafts- und Beschäftigungsfaktor mit einer recht stabilen Beschäftigungssituation. Zahlreiche Wirtschaftsunternehmen haben mittlerweile die Unterstützung des öffentlichen Kulturbetriebs in ihre Unternehmensphilosophie mit aufgenommen.

Auch die Wachstumsraten beispielsweise der soziokulturelle Zentren, alternativen Kulturzentren, Kulturcafés, freien Theatergruppen und örtlichen Kulturvereine sind enorm und bieten immer mehr Kulturschaffenden Arbeitsplätze und Einkommen.

Die Leistungen aller Kultur- und Kreativschaffenden vermitteln kulturelle Bildung und bieten sehr attraktive Freizeitmöglichkeiten. Die Bedeutung der Kultur- und Kreativwirtschaft ist also nicht allein anhand der Wirtschaftskraft darzustellen.

Die Kreativwirtschaft ist ein sehr wuseliger, oft auch kleinteiliger Branchenmix mit unzähligen Klein- und Kleinstunternehmen und Freiberuflern. Welche Rolle spielen Netzwerke in diesen Zusammenhängen?

Ein großes Netzwerk „Kultur- und Kreativwirtschaft“ zu schaffen ist mit Sicherheit kein leichtes und vielleicht auch nicht anzustrebendes Unterfangen, da sich viele Teilmarktvertreter gar nicht mit der großen Branche „Kultur- und Kreativwirtschaft“ identifizieren. Nichtsdestotrotz sind der Austausch und das Netzwerken innerhalb und außerhalb des eigenen Teilmarktes von großer Bedeutung, alleine schon weil sich einige Teilmärkte wie z.B. Design und Film überschneiden oder Kultur- und Kreativschaffende untereinander auch potentielle Kunden sind. So generiert man nicht nur interessante Geschäftspartner, sondern auch eine unbezahlbare Quelle für Informationen bezüglich aktueller Projekte, Gründungsthemen, Räumlichkeiten, Finanzierung und vielem mehr. Der Austausch über Erfahrungen untereinander ist sicherlich eine der wertvollsten Komponenten. In manchen Bereichen wird Netzwerken weniger stark von den Kultur- und Kreativschaffenden angestrebt, da sie im Konkurrenzverhältnis z.B. um Fördergelder stehen.

Ein schönes anschauliches Beispiel sind Gründerzentren und Co-Working-Spaces, in denen Akteure verschiedener Teilmärkte, aber auch aus anderen Branchen, wie z.B. Steuerberater und Rechtanwälte, sich gegenseitig beraten und unterstützen. Der Designer erhält z.B. Know-how für seinen Businessplan und bietet die Gestaltung von hochwertigem Werbematerial an.

Und nicht zuletzt spielen die zahlreichen Möglichkeiten der Vernetzung im Internet, sei es über Social Media oder neue Finanzierungswege wie Crowdfunding, auch in der Kultur- und Kreativwirtschaft eine wichtige Rolle.

Wir möchten mit unseren Aktivitäten die Kultur- und Kreativschaffenden über die bereits zahlreichen und kompetenten Netzwerkorganisationen in Hessen informieren und somit dabei unterstützen, als Teil des Netzwerkes verstärkt zur Sichtbarkeit und Bedeutung ihres Teilmarktes beizutragen. Ein Teilmarkt erhält ein wichtiges Sprachrohr, wenn er sich in Netzwerken formiert.

Sie sind die Ansprechperson in der noch jungen Geschäftsstelle der Kultur- und Kreativwirtschaft. Wie sind Ihr beruflicher Werdegang und Ihr Bezug zum Aufgabenbereich?

Kultur und Kreativität haben mich schon sehr früh interessiert, z.B. in Form einer mehrjährigen Ausbildung bei einem Bildenden Künstler. Während meines Studiums der Kulturanthropologie, Pädagogik und Kunstgeschichte habe ich mich auch empirisch mit vielfältigen Kulturthemen und interessanten Persönlichkeiten auseinandergesetzt. Vor meinem Einstieg bei der Hessen Agentur habe ich auch zahlreiche Einblicke in Kulturorganisationen erhalten und eine wirtschaftliche Weiterbildung gemacht. Ich bin neben den hessischen Kultur- und Kreativangeboten auch ein Fan des „Fringe-Festivals“ in Edinburgh, das eine Vielfalt an Künstlern aus aller Welt bietet und ein stückweit neue Sichtweisen eröffnet. Auch im Bekannten- und Freundeskreis erhalte ich regelmäßig Einblick in interessante Projekte von Kultur- und Kreativschaffenden.

Wer kann sich an Sie wenden? Womit können Sie helfen?

Wir haben natürlich in erster Linie für die Vertreter der Kultur- und Kreativwirtschaft ein offenes Ohr, jedoch können sich alle, die Informationen und Kontakte in der Kultur- und Kreativwirtschaft suchen, sehr gerne an uns wenden. Die Geschäftsstelle ist ein Knotenpunkt für die zahlreichen Informations- Beratungs- und Förderangebote des Landes Hessen, die auch der Kultur- und Kreativwirtschaft in Hessen offenstehen. Die Website www.kulturwirtschaft-hessen.de dient hierbei zur ersten Orientierung. Darüber hinaus führen wir im Auftrag des Hessischen Wirtschaftsministeriums Netzwerkveranstaltungen und Workshops zu aktuellen Themen durch, wie z.B. Mikrofinanzierung.  Wir freuen uns, wenn auch kritische Stimmen uns darin unterstützen, Handlungsbedarfe zu erkennen. Die Geschäftsstelle will dem Dialog des Landes Hessen mit den Akteuren der Kultur- und Kreativwirtschaft dienen.

Abschließend: Warum sollte Politik – auch und gerade in Zeiten knapper Kassen – in Kunst, Kultur und Kreativität investieren?

Kultur und Kreativität prägen das Profil der Regionen und bieten Alleinstellungsmerkmale, die auch im internationalen Konkurrenzkampf maßgeblich sind. Die Politik investiert damit nicht nur in die Branche Kultur- und Kreativwirtschaft, sondern unterstützt damit auch die Gesamtwirtschaft, die durch vielfältige Impulse und Innovationen von der Kultur- und Kreativwirtschaft profitiert. Auch geht Lebensqualität in den Regionen verloren, wenn der Standortfaktor Kultur- und Kreativwirtschaft vernachlässigt wird. Das Potenzial Hessens mit einer großen Anzahl an entdeckten und unentdeckten Talenten muss weiter gefördert und sichtbar gemacht werden.

Frau Stöck, vielen Dank für das Gespräch.

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