Interview mit der niedersächsischen Ministerin für Wissenschaft und Kultur Prof. Dr. Johanna Wanka (CDU)
Seit April 2010 ist Prof. Dr. Johanna Wanka niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur. Zuvor war sie von 2000 bis 2009 Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg. In dieser Funktion war sie 2005 Präsidentin der Kultusministerkonferenz, sie gehört auch aktuell dem Präsidium an. In Niedersachsen hat sie für 2012 nicht nur eine deutliche Erhöhung des Kulturhaushaltes und der Soziokulturförderung erreicht, sondern auch ein Kulturentwicklungskonzept auf den Weg gebracht.
Frau Ministerin Wanka: Was war ihr erster oder wichtigster Zugang zu Kunst und Kultur?
Für mich waren und sind Lesen und Literatur damit verknüpft, sich neue Welten, neue Themen, neue Informationen zu erschließen. Gleichzeitig ist das Lesen auch ein Vorgang, der zwischen Leser und Autor einen inneren Dialog in Gang setzt, der die Fantasie anregt und die eigene Kreativität entfacht. Dies ist besonders wichtig, wenn man wie ich in der DDR aufgewachsen ist und an bestimmten Inhalten gar nicht partizipieren durfte. Gleichzeitig ist diese Einflussnahme des Staates auch der Grund gewesen, warum ich nicht Literaturwissenschaften (was mein eigentlicher Wunsch war) studiert, sondern mich für Mathematik entschieden habe. Im Urlaub bin ich begeisterte Krimi-Leserin, dabei kann ich mich gut entspannen. Und auch Kochbücher lese ich gern und probiere das Gelesene aus.
In welchen Kunst- und Kultureinrichtungen sind Sie regelmäßig zu finden?
Auf der einen Seite habe ich qua Amt die Möglichkeit, an vielen unterschiedlichen Kulturveranstaltungenteilnehmen zu dürfen. Andererseits finde ich es immer wieder spannend, neue Dinge zu entdecken. So ist mir beispielsweise erst in Niedersachsen bewusst geworden, dass Dangast an der Nordsee ein Ort der Moderne gewesen ist, der viele berühmte Künstler der Brücke angezogen und inspiriert hat. In Oldenburg war dazu eine großartige Ausstellung zusehen, die mich sehr begeistert hat.
Sie haben zum Jahresende 2011 für eine deutliche Erhöhung der Soziokulturförderung gesorgt. Was haben Sie auf den Weg gebracht und warum?
Als die jetzige Landesregierung 2003 ihre Aufgaben übernommen hat, galt es, zunächst den notwendigen Spar- und Konsolidierungskurs durchzuführen, um den Haushalt des Landes Niedersachsen wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Von diesem Kurs war die Kultur, und, bezogen auf ihre Frage, auch die Soziokultur nicht ausgenommen. Gleichzeitig bedeuten solche Einschnitte immer die Chance, sich neu zu strukturieren und zu organisieren. Diese Möglichkeit haben sowohl das Land als auch die Soziokultur wahrgenommen. Das Land Niedersachsen hat die regionale Kulturförderung eingeführt, mit einer eigenen Sparte für die Soziokultur. Die Soziokultur hat sich in dieser Zeit auf das konzentriert, was sie besonders gut kann: mit flexiblem Geschick aus wenig viel zu machen. Und dieses Engagement muss unterstützt werden. Dafür habe ich bei den Abgeordneten und dem Finanzminister geworben.
Das Ergebnis ist:
- Wir haben ein zweijähriges Investitionsprogramm in Höhe von 2 Millionen Euro aufgelegt, um den Sanierungs- und Renovierungsstau der soziokulturellen Zentren und Einrichtungen anzugehen.
- Aufgrund des erhöhten Beratungsbedarfs der Einrichtungen haben wir die bestehenden vier Beraterstellen der Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur etwas angehoben und eine zusätzliche Stelle im Rahmen der institutionellen Förderung ermöglicht. Dafür erhält die Landesarbeitsgemeinschaft zusätzlich jährlich 60.000 Euro.
- Um aber auch denen, die sich inhaltlich weiterentwickeln wollen, eine programmatische Förderperspektive aufzuzeigen, haben wir die Stiftung Niedersachsen davon überzeugen können, ein eigenes Programm für die Soziokultur aufzulegen. Dieses startet in Kürze. Dort sollen innovative Projekte gefördert werden, die sich u.a. mit Themen wie Integration, demografischer Wandel oder Kultur im ländlichen Raum befassen. Dafür stehen in den kommenden drei Jahren jährlich 150.000 Euro zur Verfügung.
Als Mathematikerin können Sie bestens mit Zahlen umgehen: Rechnet sich die Förderung von bzw. die Investition in Soziokultur? Welche „Renditen“ wirft sie ab?
Sie rechnet sich auf jeden Fall und zwar mindestens im dreifachen Sinn:
- Erstens werden die Sanierungen dazu beitragen, die Einrichtungen der Soziokultur moderner, zeitgemäßer werden zu lassen. Mit einer besseren Ausstattung versehen, ist es den Einrichtungen leichter, eine zusätzliche Klientel zu finden, die Räume mietet oder Veranstaltungen durchführt. Damit können die Zentren auch mehr Einnahmen generieren. Gleichzeitig verdoppelt sich jeder dort vom Land Niedersachsen eingesetzte Euro allein durch die Kofinanzierung der Kommune oder - wenn Sie wollen - verdreifacht er sich auch, nämlich dann, wenn Sie weitere Förderer und Sponsoren einrechnen.
- Zweitens sorgt das Programm der Stiftung Niedersachsen auch dafür, dass sich die personelle Situation der Zentren, zumindest für den Projektzeitraum, verbessert, indem nämlich Volontariate ausgelobt werden können und eine hälftige Finanzierung für ein Freiwilliges Soziales Jahr Kultur ermöglicht wird.
- Und drittens sind die soziokulturellen Zentren aufgrund ihrer niedrigschwelligen Angebote, ihrer breiten Themenvielfalt und ihres Veranstaltungsspektrums besonders geeignet, kulturelleTeilhabe und kulturelle Bildung zu ermöglichen. Kulturelle Bildung und kulturelle Teilhabe sind gleichzeitig auch vorrangige Ziele des Landes, und Niedersachsen hat mit der Soziokultur hier einen etablierten und kenntnisreichen Partner an seiner Seite.
Freie Kultur als sogenannte freiwillige Leistung, angespannte öffentliche Etats,
geringe Kulturetats und noch dazu das Damoklesschwert „Schuldenbremse“ auf der einen Seite, auf der anderen eine sehr aktive, aber Existenzkämpfen und Planungsunsicherheiten unterworfene soziokulturelle Praxis. Wie ist dieses Dilemma zu lösen?
Eine fertige Lösung kann ich Ihnen nicht präsentieren. Aus meiner Erfahrung kann ich nur sagen, dass sich öffentliche Haushalte nicht durch Einsparungen in der Kultur sanieren lassen, zumal, wenn diese Haushalte auf kommunaler Ebene oft weniger als ein Prozent des Gesamtetats betragen. Wichtig ist es, die Vertreterinnen und Vertreter der kommunalen Parlamente davon zu überzeugen, dass freiwillige Leistung nicht automatisch das Streichen kultureller Einrichtungen bedeuten muss. Wenn eine Gemeinde einmal eine Bibliothek schließt, wird es dort in absehbarer Zeit keine neue mehr geben. Der Schaden, der mit einer Schließung angerichtet wird, ist um ein Vielfaches größer, als der Betrag, der mit einer Schließung eingespart werden könnte. Und die Auffassung, einfach bei Bedarf Kulturangebote modulartig einkaufen zu können, greift zu kurz: Kulturangebote müssen vielmehr vor Ort wachsen.
Sie haben einen offenen Prozess für ein Kulturentwicklungskonzept in Niedersachsen auf den Weg gebracht, um „den aktuellen und zukünftigen finanziellen und gesellschaftlichen Herausforderungen sowie veränderten
Rahmenbedingungen gerecht zu werden.“ Knapp formuliert, aber eine große
Aufgabe mit vielen Facetten …
Das Kulturentwicklungskonzept Niedersachsen, kurz KEK, ist ein aufwendiges und durchaus nicht einfaches, aber notwendiges Projekt, welches wir als Land initiiert haben. Nach der Vorstellung des ersten Kulturberichtes für Niedersachsen im November 2011 haben im Februar die ersten Gespräche hierzu stattgefunden. Bis zum Frühsommer 2012 finden insgesamt neun Gesprächsrunden beispielsweise mit Vertreterinnen und Vertretern der Landschaften und Landschaftsverbände, der Hochschulen, Bibliotheken, Museen, Theater, der Kirchen und Religionsgemeinschaften, kommunalen Spitzenverbände sowie aus Literatur, Musik und natürlich der Soziokultur statt. An den zahlreichen Veranstaltungen, den sogenannten Konsultationen, nehmen Verantwortliche aus weit über 100 kulturellen Organisationen, Einrichtungen, Institutionen und Gruppen teil. Nach der Sommerpause werden die Gespräche auf vier Regionalforen in Oldenburg, Göttingen, Lüneburg und in der Region Hannover ausgeweitet. Mit Gesprächen und Konsultationen, die in dieser Form bundesweit einmalig sind, wollen wir eine öffentliche Diskussion über die Entwicklungschancen niedersächsischer Kultur anregen. KEK Niedersachsen soll in den kommenden Jahren kontinuierlich dazu beitragen, die kulturpolitischen Ziele in Niedersachsen zu überprüfen. Dadurch wollen wir eine längerfristige konzeptionelle Orientierung ermöglichen und eine Verständigung mit wichtigen Dialogpartnern über Schwerpunkte, Strukturen, Kooperationen und Prozesse erreichen.
Was werden Sie für die Soziokultur weiter zu erreichen versuchen?
Für mich gilt ganz klar: Die Soziokultur ist ein wichtiger Partner des Landes Niedersachsen. Für die kommenden zwei Jahre haben wir die finanzielle Situation deutlich verbessern können. Dieses gilt es zu halten und zu steigern. Das ist mein vorrangiges Ziel.
Was muss die Kulturpolitik der Zukunft leisten?
Grundsätzlich ist mir wichtig, dass die Politik noch deutlicher erkennt, dass Kultur kein Zuschussgeschäft ist, sondern den Standort eines Landes, einer Region, eines Ortes stärkt und aufwertet. Kultur ist nicht allein ein Fördergeschäft, sondern auch ein Wirtschaftsfaktor. Besonders im Kulturtourismus sind längst nicht alle Potenziale ausgeschöpft. Und vergessen wir nicht: Kultur hat Deutschland zu dem gemacht, was es heute ist: eine Kulturnation mit den meisten, größten und besten Orchestern, Theatern und Museen dieser Welt. Aber, wir wissen auch, dass noch zu wenige der hier lebenden Menschen unsere Kulturangebote besuchen, nutzen oder von ihnen partizipieren. Dies zu verbessern, daran sollten wir gemeinsam arbeiten, und hier ist die Soziokultur sicher weiter als manch großer Tanker der Kultur.