Fußball bildet gesellschaftliche Vielfalt ab

Interview mit Chris Kurzmann und Ulf Glasenhardt vom Kulturpalast Wiesbaden über Fußball und Kultur.

Fußball und Kultur, das soll zusammen passen?? Die Welt des Söldnertums, einer obszönen Gehalts- und Transferwelt, von übersteigerten Lokal- und Nationalpatriotismus, von Homophobie, Rassismus und Gewalt auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite Kunst und Kultur, Feinsinn und Toleranz. Doch es gibt viele Schnittstellen, auch und gerade in der Soziokultur, wie bereits ein Themenheft der bundesweiten Zeitschrift "soziokultur" in 2006 aufzeigte (wegen der großen Nachfrage vergriffen). Im Interview mit der LAKS äußern sich Chris Kurzmann und Ulf Glasenhardt über das Begleitprogramm "Fußballkultur im Palast" des Kulturpalasts Wiesbaden zur Fußball-EM in Polen und der Ukraine.

Chris und Ulf, Fußball ist...:

... packend, einschläfernd, pulsierend. Fußball füllt die Zeitungen mit Belanglosigkeiten und die Stadien mit Millionen Zuschauern jedes Wochenende.

Fußball und Kultur, wie passt das zusammen?

Zum einen - ganz klar: Fußball ist Mainstreamkultur, gerade während der Nationen-Turniere wird das deutlich. Die BILD-Zeitung warb beim letzten Großereignis mit einem Nationalspieler, dessen Nachrichtenversorgung - wenn es nach ihm ginge - während des Turniers nicht über Fußball hinausgehen müsse, man könne den Rest an Nachrichten ruhig weglassen. Diese Meinung teilen Millionen. Inwieweit der Sport selbst dabei im Mittelpunkt steht oder ob das Kollektiverlebnis, das Zugehörigkeitsgefühl zu Team/Nation usw. dabei die entscheidendere Rolle spielen, sei mal dahingestellt.

Außer Frage steht aber: Fußball ist für viele Menschen weltweit ein lebenslanger Begleiter, für viele gibt der Fußball eine Wochenstruktur vor - die Woche ist geprägt vom Spieltag, alles dreht sich um das nächste Spiel. Während viele Fußballfans sich mit dem gelegentlichen Heimspielbesuch und der Sportschau begnügen, prägt ein Teil der regelmäßigeren Stadionbesucher eine Fankultur, die sich drastisch vom Einspannen in Medieneuphorie und Nationalmannschaftshype unterscheidet: Choreographien im Stadion, Einmischung in die Politik (z.B. bei der OB Wahl in Frankfurt), vereinsübergreifende Zusammenschlüsse zu Themen wie Pyrotechnik oderr auch Antifaschismus.

Was in den Fußballstadien passiert, bildet gesellschaftliche Vielfalt ab - vom Stumpfsinn bis zum emanzipatorischen Ansatz. Im Umfeld von Fanszenen werden Subkulturen gebündelt - das gilt sicher für manche Städte mehr als für andere. Die Kreativität, was z.B. Streetart und Musik aus den Fanszenen heraus angeht, finden wir schon beachtenswert. Der erweiterte Blick auf die Geschehnisse rund um den Fußball, die kritische Reflexion der angesprochenen "obszönen Gehalts - und Transferwelt" ist nicht zu trennen von einem Teil der Anhänger, die ihre "Fankultur" vielfältiger ausleben, als es oft medial wahrgenommen wird. Dieses Engagement von Anhängern trägt dann Früchte wie den Film "Kick it like Kurt" - entstanden in Zusammenarbeit mit der Schickeria München, einer Ultra-Gruppe des FC Bayern.

Welche Angebote gibt es in eurem Begleitprogramm zur EM? Welche Aktionen sind eher auf Spaß angelegt, welche gehen in die Tiefe?

Kicker und Tipp-Kick-Turnier sind Rahmenprogramm ohne jeden politischen Anspruch, da geht es darum, den EM-Monat abwechslungsreich zu gestalten und Menschen in den Laden zu locken, die sonst vielleicht eher zum Public Viewing oder in die Eckkneipe gehen. Mit Fußballquiz und Torschützenbingo gewinnt hoffentlich auch das ein oder andere Spiel an Spannung, das vielleicht spielerisch nicht ganz so der Reißer ist. Als GesamtsiegerIn des Fußballquiz staubt man immerhin ein Jahresabo der 11Freunde ab , und bei den Turnieren gibt es Fußballromane und schicke T-Shirts.

Im Kontrast dazu steht nicht nur die Dauerausstellung. Die gezeigten Filme handeln von Desillusion eines Profifußballers, Rassismus im Stadion, der kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des eigenen Vereins während 1933 und 1945. Das ist nicht immer leichte Kost, soll es aber auch nicht sein. Wir zeigen Fußball im großen Rahmen, sprechen damit auch ein neues Publikum an und haben sicherlich auch ein kommerzielles Interesse an einem erfolgreichen Verlauf - das heißt aber nicht, dass wir unser Profil aufgeben. Unser Selbstverständnis war und ist immer davon geprägt, keine Diskriminierung auszuüben und dafür zu sorgen, dass eine solche in unserem Laden nicht stattfindet.

Wir freuen uns auf einen Monat unter Freunden, Fußballverrückten und -interessierten und vielleicht sogar einigen, die dem ganzen Fußballhype nichts abgewinnen können und einfach nur für einen Blick auf die Ausstellung oder ein kaltes Bier im Liegestuhl vorbeikommen.

Vielen Menschen war das Deutschlandfahnenmeer bei der WM 2010 mulmig, der unkritische Gebrauch nationaler Symboliken und das Aufflammen einen dumpfen Nationalismus wurde befürchtet. In nicht wenigen Kulturzentren in Deutschland wurde ein Fahnenverbot heiß diskutiert. Wie steht ihr dazu?

Die Fahnenmeere und der aufkeimende Nationalismus während Fußball-WM/-EM sind auch bei uns Thema. Wir haben Verständnis für Läden, die entscheiden, keine Deutschlandfahnen in ihren Räumen zu tolerieren und dabei zu Recht die identitätsstiftende Elemente Aspekte des "gelebten Patriotismus" kritisieren. Unser Ansatz ist: Wir tolerieren Fahnen, Trikots etc. während der EM und setzen einen Kontrapunkt zum Nationalismus, indem wir eine Ausstellung zu Rassismus und Diskriminierung im Fußball in Zusammenarbeit mit den Fanprojekten aus Frankfurt und Mainz zeigen - ergänzt durch Filmvorführungen wie z.B. "Football is Freedom". Mit diesem Weg wollen wir für das Thema Diskriminierung / Ausgrenzung sensibilisieren anstatt mit einer Türpolitik - die bei einem Ansturm von Fans schwer zu vermitteln sein wäre - auf Unverständnis zu stoßen. Dass rechte Marken und rassistische Sprechchöre nicht geduldet werden, steht außer Frage!

Eine sportliche Prognose:

- Europameister wird: Die Niederlande
- Die deutsche Mannschaft landet wo? Aus im Halbfinale, Eigentor Müller in der Verlängerung.
- Die Überraschungsmannschaft wird sein? Irland

In 2012 feiert einer der Trägerkreise des Kulturpalastes, der Förderverein Kultur im Bergkirchenviertel e.V., sein 10jähriges Jubiläum. Wofür steht der Kulturpalast? Welche Arbeitsschwerpunkte gibt es?

Der Kulturpalast und seine Entstehungsgeschichte stehen für außergewöhnliches Projekt. Wir verstehen uns als aktiver Teil des Bergkirchenviertels. Tagsüber Kindergarten und Kinderhort, die interkulturelle Arbeit leisten und z.B. mit dem Kids Poetry Slam aktiv Kreativität und Sprachentwicklung fördert. Abends Kulturbetrieb mit vielfältigem Programm, von Lesungen über Konzerte, bis hin zu Kleinkunst oder Parties. Die beiden Arbeitsbereiche ergänzen sich und bilden den Kulturpalast, der nur als Gesamtprojekt verstanden werden kann.

Chris und Ulf, wir danken für das Gespräch.

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