Wirtschaftsstaatssekretär Dr. Herbert Hirschler und der Kulturwirtschaftsbericht
Erstmals hat das Land Hessen einen Kulturwirtschaftsbericht vorgelegt. Auftraggeber waren das Hessische Wirtschaftsministerium sowie das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst, erarbeitet wurde der Bericht von der Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft Hessen. Ausgangspunkt des Berichts sind die drei "Säulen" der Kulturwirtschaft: die marktorientierte Kulturwirtschaft, die freie Kulturszene sowie der öffentliche Kulturbetrieb. Im Interview mit der LAKS äußert sich Wirtschaftsstaatssekretär Dr. Herbert Hirschler zu den Hintergründen.
Herr Dr. Hirschler, Wirtschaftspolitik steht im Allgemeinen nicht gerade in dem Ruf, sich für Kunst und Kultur verantwortlich zu fühlen. Worin lag die Motivation des Hessischen Wirtschaftsministeriums, sich federführend für einen 1. Hessischen Kulturwirtschaftsbericht zu engagieren?
Da - wie der 1. Hessische Kulturwirtschaftsbericht eindeutig belegt - die Kultur einen Motor für Wachstum und Beschäftigung darstellt und eben nicht nur ein bedeutender Faktor im internationalen Standortwettbewerb der Städte und Regionen ist, hat sich das Hessische Wirtschaftsministerium nun auch explizit dem Thema "Kulturwirtschaft" in einer ökonomischen Analyse zugewandt. Im Rahmen der Landesinitiative "hessen-media" fördert das Wirtschaftsministerium seit Jahren Projekte im Bereich Film und Neue Medien. Hessen unterstützt zudem kulturwirtschaftlich ausgerichtete Unternehmen aller Art im Rahmen der regionalen Strukturförderung in Nord-, Ost- und Mittelhessen, z.B. zur Bewahrung und Neunutzung des gebauten kulturellen Erbes in Städten und Dörfern. Auch unsere Gründungs- und Wachstumsfinanzierung über Zuschüsse, Kredite und Kapitalbeteiligungen und unsere Zuschüsse zur Beteiligung an Messen im In- und Ausland stehen Unternehmen der Kulturwirtschaft offen.
Was sind - aus Ihrer Sicht - die interessantesten bzw. imposantesten Ergebnisse, sozusagen als Appetizer?
Der Bericht zeigt auf, dass 120.000 Menschen in der hessischen Kulturwirtschaft Beschäftigung finden, dies ist fast das Doppelte der am Frankfurter Flughafen Beschäftigten, und der Flughafen ist ja mit Abstand der größte hessische Arbeitgeber. Ferner sind 22.000 hessische Unternehmen, d.h. 10% der hessischen Unternehmen, in der Kulturwirtschaft tätig. Sie erwirtschaften mehr Umsatz als die in Hessen ansässige Chemiebranche oder Kfz-Industrie. Wir wissen nun exakt belegt, wie wichtig der Literatur-, Buch- und Pressemarkt mit seinen Verlagen und der Internationalen Buchmesse Frankfurt ist. Hessen ist das Buch- und Leseland Deutschlands! Ebenfalls ist Hessen ein sehr bedeutender Standort für die Werbewirtschaft.
Haben Sie mit den Ergebnissen gerechnet? Und welche Ergebnisse haben Sie überrascht?
Dass die Ergebnisse derart positiv ausgefallen sind und die Kulturwirtschaft sogar mehr Umsatz erwirtschaftet hat als die Kraftfahrzeug- und die Chemiebranche, hätte ich nicht erwartet. Bislang ist die Kultur in der öffentlichen Wahrnehmung als weicher Standortfaktor angesehen worden, mit dem man bestenfalls zusätzlich werben kann. Nach den Erkenntnissen des Berichts müssen wir sie nun auch als relevanten Wirtschaftsbereich ernst nehmen.
Exemplarisch für den Bereich der freien Kunst und Kultur wurden die soziokulturellen Zentren der LAKS hinsichtlich Umsätzen, Funktionen, Impulsen etc. untersucht. Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht die Freie Kulturszene, die ja - unter rein finanziellen Gesichtspunkten betrachtet - lediglich einen verschwindend geringen Anteil an den Gesamtumsätzen hat?
Der Freien Kulturszene mit ihren selbst organisierten Initiativen und Projekten kommt meiner Auffassung nach eine nicht unerhebliche Bedeutung zu, da sie das lokale und regionale Kulturangebot um wichtige Facetten ergänzt. In den ländlichen Gebieten stellt sie teilweise sogar das einzige Angebot neben dem traditionellen Vereinswesen dar. Deswegen wird die Freie Szene ja auch von unseren Kollegen aus dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst und den Städten und Gemeinden unterstützt. Für uns als Wirtschaftsministerium haben die Freie Szene und die in der Kulturwirtschaft häufig anzutreffenden Freiberufler das Potential einer "Forschungs- und Entwicklungsabteilung" des Main-Stream, wo experimentiert wird, woher wichtige innovative Impulse kommen. Die soziokulturellen Zentren könnten grundsätzlich die Aufgaben von kulturwirtschaftlichen Gründerzentren wahrnehmen. Sie haben Zugang zu einer jungen Zielgruppe, an der die übliche Gründerberatung zumeist vorbei geht. So wurde im Schlachthof in Kassel ja bereits versuchsweise qualifizierte Gründerberatung angeboten. Zentren und Berater müssen bewerten, ob dies ein Erfolg versprechender Weg ist, kulturwirtschaftlichen Unternehmensgründungen oder Ich-AGs gute Startchancen zu verschaffen und hier gegebenenfalls einen neuen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit zu setzen. Gerade an Hochschulstandorten mit entsprechendem "Kreativpotential" sehe ich hierfür Entwicklungsmöglichkeiten. Die Zentren erinnern auch insofern an Gründerzentren, als sie jungen Musikern und darstellenden Künstlern häufig erste Auftritts- und Übungsmöglichkeiten bieten oder Auftritte anderswo vermitteln. Sie machen junge Menschen z.B. mit den Berufsbildern Bühnen- und Tontechnik oder Catering bekannt. Viele Zentren haben sich zu einem Treff- und Attraktionspunkt im Stadtteil entwickelt und bereichern das kulturelle Image der Städte und Gemeinden.
Der Titel "1. Hessischer Kulturwirtschaftsbericht" lässt ahnen, dass hier keine Eintagsfliege geplant ist. Welches perspektivische Vorgehen für weitere Berichte ist angedacht?
In Planung sind weitere hessische Kulturwirtschaftsberichte zu unterschiedlichen Themenschwerpunkten, dabei wird das analytische Zahlenwerk stets aktualisiert. Der zweite Kulturwirtschaftsbericht zum Thema "Kultursponsoring und Mäzenatentum in Hessen" befindet sich in Vorbereitung und wird voraussichtlich Anfang 2005 erscheinen. Hierbei wird das Land eventuell mit der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände und dem Arbeitskreis "Kultursponsoring" des Bundesverbandes der Deutschen Industrie zusammen arbeiten. Untersuchenswert erscheinen uns zudem die Verflechtungen mit dem Tourismus und der Immobilienwirtschaft oder dem Städtebau.
Die informelle "Kunstbesiedlung" eines renovierungsbedürftigen Quartiers gibt häufig den Startschuss für eine neue Entwicklung. Nun liegt dieser Bericht vor. Welche weiteren Aktivitäten sind geplant, um einerseits die Ergebnisse bekannt zu machen und andererseits auch nutzbringend in Politik, Verwaltung und kulturelle Praxis einzubringen? Wir haben den Kulturwirtschaftsbericht ja zunächst mit Hilfe der Wirtschaftsinitiative METROPOLITANA FrankfurtRheinMain im Städel-Museum der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt, er kann bei uns bestellt oder von der homepage des Wirtschaftsministeriums herunter geladen werden. Mit dem Bericht liegt nun eine fundierte Bestandsaufnahme als Grundlage für weiteres Handeln vor. Wir haben damit den sinnbildlichen Stein ins Wasser geworfen. Jetzt sind alle in diesem Bereich Tätigen aufgefordert, Vorschläge zu entwickeln. Die wichtigste Handlungsebene ist sicherlich die lokale oder regionale. Die öffentlichen Akteure in Städten und Kreisen, Kulturämtern, Tourismus-, Standortmarketing- und Wirtschaftsförderungseinrichtungen sowie die kulturwirtschaftlichen Unternehmen und Initiativen sollten die Kulturwirtschaft als wichtiges Handlungsfeld für die wirtschaftliche, beschäftigungsbezogene und kulturelle Entwicklung verstärkt wahrnehmen und nach Schnittmengen für gemeinsame Vorhaben suchen. Es müssen geeignete Plattformen geschaffen werden. Auch die Hochschulen sollten einbezogen werden. Das Land Hessen bietet sich als Partner an, will und kann aber nicht allein agieren. Das Wirtschaftministerium will die in der Kulturwirtschaft liegenden Wachstumschancen weiterhin fördern, um mehr qualifizierte Arbeitsplätze und Einkommensmöglichkeiten zu schaffen. Unsere Kollegen von Wissenschaft und Kunst verfolgen u.a. mit ihrem Kulturinvestitionsprogramm und der Planung für den Museumspark Wilhelmshöhe wichtige Vorhaben, die auch kulturwirtschaftlich relevant sind. Aktionen wie die Kulturhauptstadtbewerbung der Stadt Kassel gehen beide Ressorts, die gesamte Landesregierung, an Viel wäre meiner Meinung nach schon gewonnen, wenn sich die Verflechtungen zwischen der Kultur mit ihren mannigfaltigen Institutionen und anderen Wirtschaftssektoren auch positiv in kooperativem Handeln abbilden würden, wenn es z.B. in jeder Stadt handlungsleitend wäre, dass Kultur-, Tourismus-, Stadtentwicklungs- und Wirtschaftsförderpolitik an einem Strang ziehen. Was die Unternehmen angeht, so fehlt es wegen der starken Fragmentierung der Kultur in Einzelmärkte und dem Vorherrschen von Kleinunternehmen zudem an aktiven Verbands- und Lobbystrukturen. Wo sie existieren, wie z.B. im Galerienbereich, haben wir Ansprechpartner, gemeinsame Aktionen laufen. So haben wir im Januar diesen Jahres gemeinsam mit dem Galerienverband die Ausstellung "spektrum kunstlandschaft" in der Hessischen Landesvertretung in Berlin eröffnet, die noch in diesem Jahr auch im hessischen Regionalbüro in Abu Dhabi gezeigt werden soll. Darüber hinaus ist es unser Ziel, die Verantwortungsbereitschaft der hessischen Unternehmen im Bereich der Kultur zu stärken. Daher bereiten wir mit Partnern zur Zeit einen offenen Tag der hessischen privaten und Unternehmens-Kunstsammlungen vor.
Ihr Haus wirbt mit dem Slogan "Hessen - hier ist die Zukunft". Welche Zukunft sieht der Visionär, welche der Pragmatiker in Ihnen für die kulturelle Vielfalt in Hessen?
Der Slogan ist der der Standortkampagne Hessen, nicht der des hessischen Wirtschaftsministeriums allein. Die Frage nach der Zukunft der kulturellen Vielfalt richten Sie besser an meinen Kollegen Leonhard vom Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Aus Sicht des Wirtschaftsministeriums besitzen Kunst und Kultur ein erhebliches wirtschaftliches Potential, das von allen Beteiligten auch weiterhin ausgebaut werden sollte. In der Vielfalt der hessischen "Kulturlandschaft" und ihrer Bedeutung für den Standort Hessen sehe ich eine besondere Chance zur Weiterentwicklung dieses Wirtschaftsbereiches. Gerade in Zeiten "leerer öffentlicher Kassen" sollte die Erkenntnis, dass schon geringe Investitionen an der richtigen Stelle große Nachfrage-Effekte erzielen können, für die öffentlichen und die privaten Akteure von besonderer Bedeutung sein. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die ansässigen Unternehmen sich künftig noch mehr als bisher für Kultur engagieren werden - für die kulturellen Leuchttürme - und vielleicht auch für die experimentellere Kunst und Kultur. Aber noch wissen wir ja nicht genau, in welchem Umfang dieses schon geschieht - ich bin auf das Ergebnis unseres nächsten Berichtes sehr gespannt.
Herr Dr. Hirschler, wir danken für das Gespräch.