Mit 30 Jahren "gelebtem Humanismus" gehört die Bessunger Knabenschule zu den Urgesteinen der soziokulturellen Szene in Hessen. Im Interview mit der LAKS äußert sich Geschäftsführer Bernd Breitwieser über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Bessunger Knabenschule.
Bernd, wann seid ihr gestartet und wie kam es zu eurer Initiative?
Das Gebäude der Bessunger Knabenschule wurde 1878 für die Kinder im damals noch selbständigen Dorf errichtet. Später wurde Bessungen nach Darmstadt eingemeindet. Über 100 Jahre war im Haus Unterricht. Durch einen Aufruf in der lokalen Presse zur Nutzung entstand in dem leeren städtischen Gebäudeareal 1983 ein sozio-kulturelles Zentrum mit zahlreichen sozialen, politischen und kulturellen Gruppen, derzeit über neunzig an der Zahl. Keimzelle war damals der "Verein für Nichtrepressive Erziehung", eine Elterninitiative im Zuge der Post-68er-Kita-Bewegung, die die vier internen und zwei externen (ganz in der Nähe gelegenen) Betreuungseinrichtungen mit ca. 85 Kindern noch heute betreibt. Seit 30 Jahren gibt es die Bessunger Knabenschule somit als Kulturzentrum.
Wie ging es weiter?
Das Konzept des Zentrums war es von Anfang an, sozialen, politischen und kulturellen Gruppen einen finanziell günstigen räumlichen Rahmen für ihre Aktivitäten zu bieten und auf deren Bedürfnisse zu reagieren. Somit ist die Belegung des Hauses und auch das Kulturprogramm ein Spiegelbild des (sub-)kulturellen Zeitgeistes, der sich quasi selbst fortschreibt. Eine Booking-Abteilung oder ein kulturelle Strategie gab es (auch mangels entsprechender Ressourcen) nie, Offenheit und Spontanität waren Parameter eines Programms, das als "Wundertüte" manche (positive) Überraschung bot, gelegentliches "Fremdschämen" aber nicht ausschloss. Die Veranstaltungen mit dem Schwerpunkt Musik haben sich in dieser Zeit zu einem wichtigen und gewichtigen Bestandteil des Gesamtprojektes entwickelt: Waren es am Anfang mehr lokale und regionale kulturelle Events, so kamen im Jazzbereich ab 1987/88 große (amerikanische) Namen dazu: Archie Shepp, Woody Shaw, Joe Henderson und Lee Konitz. Später auch deutsche Jazz-Größen wie Michael Sagmeister und Albert Mangelsdorff. Mit Beginn der 1990er wurde die Knabenschule ein wichtiger Ort für die Vernetzung der lokalen Jazz- und Musikszene und die damit verbundene Breiten- und Nachwuchsarbeit. Unter Federführung des Bassisten Jürgen Wuchner gab und gibt es neben Konzerten zahlreiche Workshops im Rahmen der hauseigenen Jazz- und Popschool und seit 1992 den inzwischen renommierten jährlichen Sommer-Workshop "Darmstädter JazzConceptions" in Kooperation mit dem hiesigen Jazz-Institut. In den Proberäumen der Knabenschule mit über 20 Bands begann manche musikalische Karriere, die zu einem Studium der Jazz- und Popularmusik in Mainz oder Mannheim führte. Idealerweise sind hier Probe- und Konzertmöglichkeiten an einem Ort vereint: Aus den Kellern direkt auf die Bühne.
Wo steht ihr jetzt? Was sind eure Aktivitäten? Wer ist aktiv?
Die Bessunger Knabenschule hat sich im Laufe von drei Jahrzehnten zu einem heute kaum mehr wegzudenkenden Projekt in der Kulturszene der 150.000 Einwohner-Stadt Darmstadt entwickelt. Dabei haben wir immer versucht, unseren (ungeschriebenen) "Glaubenssätzen" treu zu bleiben und den "Spirit" der Gründerjahre zu bewahren. Die personelle Situation in der Knabenschule konnte mit Hilfe diverser Beschäftigungsförderungs-maßnahmen als Anschubfinanzierung über die Jahre verbessert werden: Derzeit haben wir knapp vier Personal-Stellen, die sich sechs Kollegen teilen sowie ein BFD-Platz, eine geringfügig Beschäftigte für Reinigungsarbeiten und Honorarkräfte nach Bedarf.
An welche Veranstaltung oder welches besondere Ereignis erinnert ihr euch am liebsten?
Unter dem zahllosen Bemerkenswerten erinnere ich mich persönlich an ein Konzert mit Ernst Jandl im Rahmen des Darmstädter Jazzforums im November 1997. Ich hatte aus Platzmangel die Kasse auf den Hof verlegt und musste bei großer Kälte viele Besucher wegen Überfüllung abwimmeln, das war richtig stressig. Die Persönlichkeit Jandls und sein Auftreten haben mich nachhaltig beeindruckt. Er starb drei Jahre später.
Wie habt ihr das Jubiläum begangen?
Mit einer Konzertreihe unter entsprechendem Motto und einer internen Feier am 8. November.
Wie bewertet ihr eure bisherige Entwicklung? Seid ihr zufrieden mit dem Erreichten? Wo nicht?
Zufrieden ist man nie. Aber wir sind stolz auf das Erreichte, das aber unendlich viel Kraft gekostet hat. Ich wundere mich rückblickend darüber, wie wir das alles damals geschafft haben. Diese Energie könnte ich heute nicht mehr aufbringen.
Wo seht ihr euch in 5 Jahren?
Der Laden läuft hoffentlich gut so weiter. Ich wünsche mir jüngere Mitarbeiter, die bereit und engagiert sind, weiterzumachen und weiter zu entwickeln. Da ich mich dann dem Ende meines Berufslebens nähere, hoffe ich, ein gut bestelltes Haus zu hinterlassen. Finanziell einigermaßen konsolidiert und gesichert.
Wo in 20 Jahren?
Die Knabenschule war immer ein Spiegelbild des Zeitgeistes. Wie die gesellschaftliche Realität in 20 Jahren aussieht, lässt sich schwer vorhersagen. Das Auseinanderdriften in sehr reich und sehr arm und einer bedrohten Mittelschicht dazwischen ist ein Schreckensszenario, dem politisch, sozial und auch kulturell begegnet werden muss. Bisher waren wir hier auf einer Insel der Glückseligen, aber soziale Verwerfungen werden auf Dauer auch nicht spurlos an uns vorübergehen. Ich wünsche mir, das der Geist des Hauses erhalten bleibt: Hier begegnen sich aufgeklärte Menschen im Sinne eines tatsächlich gelebten Humanismus.
Bernd, vielen Dank und alles Gute!